Page 24 - Ärzteblatt Mecklenburg-Vorpommern, Oktober-Ausgabe 2025
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AKTUELLES


           Waldtherapie:                                        Gesundheitsfaktor „Klima und Sinne“


           Unser Rezept für                                     Im Wald herrscht ein eigenes Klima, das sogenannte Waldklima.


           ein gesundes Leben                                   Es ist abhängig von Baumart, Belaubung, Höhe der Bäume und
                                                                Dichte des Bestandes. Das Waldklima zeichnet sich aus durch
                                                                den Schutz vor starker Sonnenstrahlung, Niederschlägen, Wind,
                                                                Hitze und Kälte. Unsere Wälder sind zudem ein großes Reinluft-
                                                                reservoir, da die Blätter und Nadeln die von uns verursachten
           Viele Menschen genießen es, sich hin und wieder eine Aus-  Schadstoffe zu einem großen Teil aus der Luft filtern. Weitere Ei-
           zeit  vom  hektischen  Alltag  zu  nehmen,  gern  bei  einem   genschaften des Waldklimas sind erhöhte Luftfeuchtigkeit, hoher
           Waldspaziergang, um zur Ruhe zu kommen und neue Kraft   Sauerstoffgehalt und Lärmschutz. So können wir im Wald buch-
           zu schöpfen. Was viele nicht ahnen, ist der wissenschaftlich   stäblich tief durchatmen und befinden uns in einer für unseren
           fundierte Nutzen der Naturraumes WALD.               Körper angenehmen Umgebung.
           Krankenhaus und Wellnessoase zugleich - sowohl therapeu-  Die Waldluft ist geprägt von ätherischen Ölen, Harzen und Aro-
           tisch als auch präventiv bietet der Wald Heilung, Entspan-  mastoffen  und  wird  von  vielen  Menschen  als  angenehm  und
           nung und Ruhe für jeden, der sich der Praxis Wald anver-  würzig wahrgenommen. Der typische Geruch stammt von flüch-
           traut.  Deshalb  werden  Wälder  vermehrt  nun  auch  in   tigen organischen Verbindungen, wobei die Terpene bzw. Terpe-
           Deutschland nicht nur für einen erholsamen Spaziergang   noide den Hauptbestandteil bilden. Besonders in Nadelwäldern
           oder sportliche Aktivitäten aufgesucht, sondern verstärkt   sind die Duftstoffe ätherischer Öle präsent. Je nach Ausprägung
           auch als Gesundheits- und Therapieraum genutzt.      des abschirmenden Kronendaches kann die Lichteinstrahlung
                                                                stark reduziert sein, was viele Menschen als beschützend emp-
                                                                finden.
           Ursprünge
                                                                Gesundheitsfaktor „Psyche“
           In Japan wird das Baden in der Waldluft, das „Shinrin Yoku“ in der
           Landessprache, schon seit den 1980-er Jahren als Therapeuti-  Zu den waldtypischen Sinneserfahrungen gehören die frische
           kum auf Rezept an Patienten verschrieben. Zunächst gab es das   Waldluft, die angenehmen Lichtverhältnisse und die typischen
           alte Heilwissen, auf das traditionell-arbeitende japanische Ärzte   Waldgeräusche. Zusätzlich wirkt die grüne Farbe der Blätter und
           zugriffen. Dann fand durch den Arzt und Forstwissenschaftler Dr.   Pflanzen beruhigend und ruft positive Gefühle hervor. Im Wald
           Qing Li die Waldtherapie einen festen Platz im japanischen Ge-  herrscht meist eine natürliche Ruhe. Diese wird je nach Bestand,
           sundheitswesen. Von 2004 bis 2007 initiierte er eine großange-  Jahreszeit und Wetterverhältnissen nur durch verschiedene Na-
           legte Mega-Studie, in der er nachhaltig bestätigte, worauf einzel-  turlaute wie das Blätterrauschen, das Knarzen der Bäume oder
           ne Studien schon vorher verwiesen.                   das Knacken des Unterholzes begleitet – und nicht zu vergessen:
           Auch wenn die moderne Waldtherapie in Japan gegründet und   Tierstimmen.
           durch Dr. Quing Li geprägt wurde, gibt es auch bei uns in Mittel-
           europa eine lange Tradition der Nutzung der Heilkraft der Natur.   Drei Theorien geben Erklärungen für die Heilwirkung, die wir in-
           Bereits Sebastian Kneipp hat im 18. Jahrhundert die positive   tuitiv spüren:
           Wirkung von kalten Bädern in der Natur entdeckt und die Wirk-  1.  Biophilia-Theorie (Edward O. Wilson): Dass der Wald uns
           kraft von Kräutern auseinandergesetzt. Tuberkulose-Patienten   guttut und unser Freund ist, spüren wir intuitiv. Die Biophilie
           konnten in Kurparks in dicke Decken gewickelt stundenlang un-  beschreibt die angeborene, biologisch begründete Neigung
           ter Bäumen träumen und genesen.                         des Menschen, in Verbindung mit anderen Lebewesen zu ge-
           Dass sich der Aufenthalt im Wald positiv auf die physische und   hen. Studien beweisen, dass der Kontakt mit natürlichen Ele-
           psychische Gesundheit sowie auf das Wohlbefinden und die Le-  menten Erholung fördert und das Wohlbefinden verbessert
           benszufriedenheit der Menschen auswirkt, belegen zahlreiche   (Wilson, 1986).
           Studien (Hartig et al., 2011). Drei Gesundheitsfaktoren wirken im   2.  Aufmerksamkeits-Wiederherstellungstheorie  (Attention
           Wald zusammen: das gesundheitsfördernde Klima, die waldtypi-  Restauration Theory – Rachel and Stephen Kaplan): Wir
           schen Sinneserfahrungen und die natürlich gegebenen Bewe-  erholen uns besser von mentaler Anstrengung und können
           gungsanreize.                                           die Konzentrationsakkus aufladen, wenn wir Zeit in der Natur


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