Page 6 - Ärzteblatt Mecklenburg-Vorpommern, Oktober-Ausgabe 2024
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WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
Tabelle 1: Laboruntersuchungen zur Erstbeurteilung einer möglichen Hämostasestörung
Plasmatische Gerinnung Primäre Hämostase
Quick (Thromboplastinzeit, prothrombin time, PT) Thrombozytenzahl (kleines Blutbild)
Aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) In vitro-Blutungszeit (PFA o.ä.)
Fibrinogen (nach Clauss o.ä.)
Thrombinzeit
Faktor XIII
wie Vitamin K-Antagonist, direkte orale Antikogulantien, Laboruntersuchungen
Heparin, ASS, NSAR, „Schmerzmedikamente“, andere
Medikamente und Heilmittel) Es gibt kein validiertes Flussdiagramm oder Score-System,
■ Familienanamnese („vertikal“ zu Eltern/Vorfahren/Kin- das beim individuellen Patienten Auswahl und Umfang der
dern/Enkeln und „horizontal“ zu Geschwistern) Laboruntersuchungen festlegt, mit denen die weitere Abklä-
■ allgemeine Anamnese zu akuten und chronischen Erkran- rung gelingt. Deshalb steht initial die Frage, ob Laborunter-
kungen mit Bezug zu Hämostasestörungen (Leber-/Nie- suchungen veranlasst werden müssen. Bei Würdigung von
renerkrankungen, Malignom, hämatologische System- Anamnese und körperlichen Untersuchungsbefunden wird
erkrankung, Endokrinopathien, rheumatologische/Auto- hier die weitere Abklärung priorisiert erfolgen, bei Gelenk-,
immunerkrankungen etc.) Muskel- und Weichteilblutungen nach geringem oder fehlen-
dem Trauma, ebenso bei positiver Familienanamnese, bei
Körperliche Untersuchung wiederholten Blutungskomplikationen nach Eingriffen sowie
Blutungsereignissen, die zu einer Anämie geführt haben. Pa-
Ziel der körperlichen Untersuchung ist das Auffinden von tienten mit einmaligen Ereignissen oder easy bruising bei
Manifestationen einer Hämostasestörung. Auf bestehende ansonsten unauffälliger Blutungsanamnese oder kleineren
Haut- und Schleimhautveränderungen ist ebenso zu achten Blutungen stets identischer Lokalisation werden zurückhal-
wie auf Residuen früherer Blutungsereignisse. tender im Labor untersucht und ggf. konsiliarisch zu lokalen
Blutungsursachen vorgestellt.
Mit der Anamnese und der körperlichen Untersuchung ge- Zur initialen Abklärung werden wenige Screening- bzw. Glo-
lingt es, die Wahrscheinlichkeit einer Hämostasestörung vor- baluntersuchungen empfohlen, die den Verdacht einer Hä-
läufig abzuschätzen und eine Zuordnung zu einer eher wahr- mostasestörung bestätigen sollen, welche dann mit weite-
scheinlichen Störung der plasmatischen Gerinnung (keine ren Spezialanalysen differenziert werden können. Primäre
Petechien, typische Weichteilhämatome, häufige einzelne/ Hämostase und plasmatische Gerinnung werden initial ge-
große Ekchymosen, ggf. Gelenkblutungen, häufige Nachblu- meinsam untersucht (Tabelle 1).
tungen, keine verstärkte Blutung aus kleinen Schnittwun-
den, ggf. positive Familienanamnese) bzw. zu einer eher Die Thromboplastinzeit (Quicktest) erfasst über den Faktor
wahrscheinlichen Thrombozytenfunktionsstörung und/oder VII die extrinsische Gerinnungsaktivierung sowie über die
Gefäßpathologie (typische Petechien, selten Weichteilhäma- Faktoren X, V, II und Fibrinogen die gemeinsame Endstrecke
tome, typische meist mehrere kleine Ekchymosen, sehr sel- der plasmatischen Gerinnung. Das INR-Konzept bleibt weiter-
ten Gelenkblutungen, selten Nachblutungen, persistierende/ hin dem Monitoring der oralen Antikoagulation mit Vitamin
oft profuse verstärkte Blutungen aus kleinen Schnittwun- K-Antagonisten vorbehalten und spielt bei der Abklärung ei-
den, selten positive Familienanamnese). Diese Synopsis ist ner Blutungsneigung keine Rolle. Die aktivierte par tielle
in den häufigen Situationen von großer Wichtigkeit, wenn es Thromboplastinzeit (aPTT) prüft die Gerinnungsfaktoren II, V,
um die gewünschte Abklärung von „Zufallsbefunden mit pa- VIII, IX, X, XI, XII und Fibrinogen. Die Thrombinzeit misst die
thologischen Gerinnungsparametern“ geht, die z. B. präope- Umwandlung von Fibrinogen zu Fibrin nach Thrombinzuga-
rativ/präinterventionell erhoben wurden und nicht zwin- be. Der Gerinnungsfaktor XIII wird in den Globaltesten nicht
gend ein klinisch relevantes Blutungsrisiko bedingen. erfasst und muss getrennt analysiert werden.
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