Page 13 - Ärzteblatt Mecklenburg-Vorpommern, Oktober-Ausgabe 2024
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AKTUELLES
nicht verändert, aber die zwanglose Ergänzung um Hinweise Klimagesunde Arbeitsweisen
auf Klimaschutzmöglichkeiten durch Energieeinsparungen
oder umweltbewusstes Konsumverhalten bzw. aktive Mobili- Die weiter oben genannten Quellen bieten ganze „Werkzeug-
tät bietet sich hier an. Wirksame Ressourcenschonung errei- koffer“ für Nachhaltigkeit am Arbeitsplatz an, wovon sich viele
chen wir nicht zuletzt durch Verzicht auf überflüssige Diag- Dinge auch schon im privaten Umfeld realisieren lassen. Müll-
nostik, insbesondere bei Laboruntersuchungen und in der vermeidung beginnt beim gezielten Einkauf und endet bei der
Bildgebung. Vor Prozeduren auf Wunsch der Patienten, z. B. Mülltrennung als Selbstverständlichkeit. Großpackungen,
ästhetisch indizierten Operationen, kann neben den Kompli- Mehrwegartikel, recyclingfähige Materialien sollen bevorzugt
kationshäufigkeiten auch auf die Gesundheitsschädlichkeit werden. Das Start-up „Praxis ohne Plastik“ bietet nicht nur
der mit dem Eingriff verbundenen – unnötigen! – CO2-Emissi- selbst ökologische Produkte an, sondern berät auch bei Pro-
on hingewiesen werden. Biografische Ereignisse wie Schwan- duktrecherchen vor Anschaffungen. Die bewusste Auswahl von
gerschaft und Geburt, Eheschließung oder auch der Tod eines Artikeln, deren Verkäufer auf nachhaltig arbeitende Lieferket-
geliebten Menschen führen zu einer besonderen Offenheit ten achten, ist ein oft unterschätzter Beitrag zur planetaren
von Patienten für ärztliche Ratschläge zur Lebensstilände- Gesundheit. Wer sich für Nachhaltigkeit engagieren will, wird
rung. Alle genannten Beispiele bauen auf eine Gesprächstech- nicht umhinkommen, sich über echte Biozertifikate zu infor-
nik, bei welcher der Doppelnutzen klimabezogener Verhal- mieren und Pseudoetiketten (sogenanntes Greenwashing) er-
tensanpassung für die individuelle und die globale Gesund- kennen zu lernen. Mit dem Bezug von Ökostrom, dem Einsatz
heit zur Motivation genutzt wird. Dies setzt natürlich psychi- von LED-Lampen und einer energiesparenden Heizstrategie
sche Gesundheit des Patienten voraus. Ein anderes Vorgehen lässt sich der CO2-Abdruck jedes Arbeitsplatzes relevant sen-
ist angezeigt, wenn Patienten mit Klimaangst oder mit de- ken. Trinkwasser aus der Leitung statt abgepackter Getränke,
pressiver Beeinträchtigung in Bezug zur allgegenwärtigen Jobtickets statt Parkplätze für Angestellte und 1.000 weitere
Umweltzerstörung beraten werden müssen. Dann empfehlen kleine Dinge, die Transportwege vermeiden, haben in der Sum-
Psychologen angeleitete Selbstreflexion, Akzeptanz negativer me einen gesundheitlichen Nutzen. Last not least kann in der
Gefühle und deren positive Umwandlung durch Selbstwirk- Medizin ein großes Potenzial durch Reduzierung und Auswahl
samkeitserleben. von Medikamenten gehoben werden. Dass Dosieraerosole kli-
maschädlicher sind als Pulverinhalatoren, ist inzwischen allge-
Klimaresiliente Unternehmensgestaltung mein bekannt. Unter den Schmerzmitteln wird Diclofenac in
der Umwelt besonders langsam abgebaut, in anderen Wirk-
Die strukturelle Verankerung von Nachhaltigkeit in Praxen, stoffgruppen sind Arzneimittel mit polyfluorierten Alkylverbin-
MVZ und Krankenhäusern beginnt mit der Aufnahme entspre- dungen als „Ewigkeitschemikalien“ in gleicher Weise umwelt-
chender Ziele in Leitbilder, in das Qualitätsmanagement und schädlich (z. B. Fluoxetin, Clecoxibid, Sitagliptin, Lansoprazol)
beim Erwerb von ökologischen Zertifikaten. Soweit Ärztinnen – gezielte Substitution ohne Wirkverlust ist möglich. Insbeson-
und Ärzte dafür nicht selbst verantwortlich sind, können sie dere Metformin und Protonenpumpeninhibitoren werden häu-
dennoch bei ihren Geschäftsführungen darauf hinwirken. figer verordnet als nötig, aber auch Antibiotika, Antidementiva
Fortbildungen zu Arbeitsschutz und Krisenmanagement las- und Antidepressiva stehen auf der Übertherapie-Liste der Initi-
sen sich für klimaschutzbezogene Themen nutzen. Wo es ative „Klug entscheiden“ der Deutschen Gesellschaft für Innere
noch keine Hitzeschutzpläne gibt, sollten Mediziner diese ein- Medizin. Besonders in geriatrischen und palliativen Situatio-
fordern bzw. an der Erstellung mitwirken. Bei Digitalisierungs- nen, aber nicht nur dort, sollten Medikationspläne regelmäßig
vorhaben sollte darauf geachtet werden, dass der Einfüh- entschlackt werden. „Weniger ist mehr!“ zieht sich wie ein Leit-
rungs- und Betriebsaufwand nicht höher ist als der langfristi- motto durch die zahlreichen Handlungsfelder, in denen wir Ver-
ge Nutzen für die User. In ortsübergreifenden Einrichtungen haltensänderungen anstoßen können – wenn wir darin einen
und in der Fortbildung lassen sich mit Videokonferenzen persönlichen Mehrwert erkannt haben.
Dienstwege einsparen, ärztliche Videosprechstunden können
Autofahrten zu Konsultationen vermeiden. Homeoffice sollte Dr. Thomas Schröter
genutzt werden, wo immer möglich. Arbeitgeber mit einer auf 2. Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen
Nachhaltigkeit ausgerichteten Unternehmenskultur haben Zum Hospitalgraben 8
mittlerweile messbare Vorteile bei der Gewinnung und Bin- 99425 Weimar
dung junger Fachkräfte. E-Mail: thomas.schroeter@kvt.de
AUSGABE 10/2024 34. JAHRGANG Seite 369